Impotenz

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Die ganze Wahrheit

Bisher habe ich mich noch nicht im Detail dazu geäußert warum ich damals im Oktober 2015 zum Urologen bin. Zudem habe ich noch nicht von allen bleibenden Nebeneffekten erzählt. 

Zu einem Outing gehört dies aber wohl dazu. Und um allen Männern die Dringlichkeit einer regelmäßigen Prostatavorsorge-Untersuchung zu verdeutlichen und ihnen gewissermaßen die Hemmung davor zu nehmen, habe ich mich dazu entschlossen es offen zu legen.

Aber es fällt verdammt schwer, da es sehr intim wird. 

Der Auslöser

Mein Problem war ein trockener Orgasmus. Kein typisches Symptom, denn meine erste Recherche im Sommer 2015 brachte nichts weltbewegendes zum Vorschein. Auf alle Fälle gab es keinen Hinweis auf Prostatakrebs. Die Symptome dafür sind andere (Blasenentleerungsstörungen, Knochenschmerzen und später Gewichtsverlust und Blutarmut). Also ging ich zuerst von einem mechanischen bzw. einer anderen altersbedingten Ursache aus. 

In diese Richtung hat mein Urologe beim ersten Besuch und meiner Problembeschreibung auch gedacht: 

Herr Pilpin, sie wissen bei uns Männern kann so etwas ab einem gewissen Alter eintreten...

Ja sicherlich, aber es fühlte sich irgendwie nicht richtig an. Mein Gefühl hat mich, wie wir leider wissen, nicht getrübt. 

Inzwischen weiß ich mehr über die Rolle und Funktionsweise der Prostata: sie produziert einen Teil des Spermas. Dieser Zusatz macht etwa 30% des Ejakulates aus. 

Mit dem bei mir, nach dem PET/MRT festgestellten Befund (u.a. vom Tumor infiltrierte Samenblase), ist es dann schon nachvollziehbar warum es zu einem trockenen Orgasmus kommen kann. Fast schon so logisch das es mich wundert warum ein trockener Orgasmus nicht auch als Symptom für (zumindestens fortgeschrittenen) Prostatakrebs aufgeführt wird. Vielleicht zu selten? 

Was bleibt hängen?

Das ist jetzt wörtlich zu nehmen und leider auch die Realität. Denn bei mir ist das eingetreten wovor nicht nur Ben Stiller Angst hatte: Impotenz. 

Auch dies lässt sich wieder einfach erklären: zwei Nerven die direkt beidseitig an der Prostata liegen, sorgen für die männliche Erektion. Bei einer radikaken Prostataektomie (Entfernung), wird versucht diese Nerven zu erhalten. Dabei wurde vorallem in den vergangen Jahren neue Operationstechniken entwickelt, um zumindestens einen der beiden Nerven zu schonen. Das wurde bei Ben Stiller offensichtlich erreicht. Bei mir aber war der Tumor bereits aus der Prostatakapsel förmlich heraus geplatzt, somit konnten beide Nerven nicht mehr geschont werden. Auch nicht von einem äußerst erfahrenen Operateur. 

Was bleibt? Die Hoffnung auf ein längeres Leben. 

Über die Folge einer Impotenz hatte ich mir zu keiner Zeit einen Kopf gemacht. Ich wollte nur leben und da verzichte ich auch auf die Potenz. Wenn dies mein Päckchen für ein längeres Leben ist, dann trage ich dieses eben mit Würde.

Fazit

Ich kann nur jedem Mann dazu anraten sobald etwas im Umfeld des Geschlechtsorgans oder -verkehrs sich irgendwie anders verhält, geht bitte zum Urologen. Aber am besten schon vorher und regelmäßig, denn treten Symptome einmal auf hat sehr wahrscheinlich bereits eine Ausdehnung (u.a. auf die Samenblase) oder eine Metastasierung stattgefunden, am ehesten in die Lymphknoten (wie bei mir) oder schlimmer in das Skelett oder andere Organe!

Also #fingerrein

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Alternative Fakten

Ich habe neulich folgenden Artikel ("Prostatakrebs ist kein Todesurteil" - Siehe unten) entdeckt und bin mal wieder stinksauer wie Prostatakrebs in diesem Artikel, vorallem im ersten Absatz, verharmlost wird.

Ja es stimmt, die meisten Männer sterben mit und nicht am Prostatakrebs. Aber es sterben welche daran, und das leider nicht zu wenige.
Selbst die die es überleben, müssen körperliche und psychische Probleme (wie Inkontinenz und Impotenz) meistern, die sich manch einer nicht vorstellen kann. Das Ganze leider auch in jungen Jahren.

Ganz zu schweigen wenn es dich richtig hart erwischt. Prostatakrebs ist da kein bisschen anders als jeder andere Krebs.

Liest ein unwissender Mann diesen Artikel, dann fühlt er sich bestätigt in seiner Annahme das es eh nur die älteren Männer trifft und wenn es mich doch erwischt dann ist es ja harmlos.

Wie soll die Vorsorge sich so in die Köpfe der Männer festsetzen?

Hier der Artikel

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1. Oktober 2015

Heute vor drei Jahren begann mit meinem allerersten Besuch bei einem Urologen diese, meine Reise durch die chaotische Gefühlswelt einer bösartigen Krebserkrankung.

Immerhin dauert diese nun schon drei Jahre an, gefühlt ist diese Reise deutlich länger.

Ein trockener Orgasmus war der Anlass des Besuches. Der Urologe meinte noch im ersten Gespräch: "Sie wissen doch wie das im Alter bei uns Männern so ist!". Ne, wusste ich bis dato nicht!

Raus kam dann keine altersbedingte Einschränkung, sondern ein hochagressiver Prostatakrebs, welcher bereits aus der Prostata ausgetreten ist. Geblieben ist, abgesehen von den mentalen Defiziten und körperlichen Beeinträchtigungen, vor allem Inkontinenz und Impotenz. Die Inkontinenz konnte ich durch ein künstliches Implantat (Sphinkter) in den Griff bekommen. Gegen die Impotenz ist nichts zu machen. Dies hat natürlich Auswirkungen, nicht nur auf mein eigenes Leben.

Aber das wichtigste bleibt: das Leben.

Ich würde auch immer wieder dem gleichen Behandlungsplan, so wie durchgeführt, zustimmen. Wobei es mangels Alternative auch keine andere Wahl gab, ausser vielleicht erst mit einer Chemo zu beginnen. Das Ergebnis und die bleibenden Einschränkungen wären geblieben. Der Weg mit einer Chemo wäre sehr wahrscheinlich beschwerlicher geworden.

Wäre, wäre Fahrradkette. Wissen tut man nichts!

Der Arzt meinte ziemlich deutlich auf meine Frage was passiert, wenn ich nichts unternehme, "sie haben vielleicht noch 6 Monate". Auch das bleibt hypothetisch, aber es zeigt auch wie verdammt eng es war und wie glücklich ich mich schätzen kann meinen Hals noch aus der Schlinge befreit haben zu können.

C'est la vie.

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Nun sind vier Jahre rum seit der OP. Vier Jahre um sich mit den Nebenwirkungen der OP auseinanderzusetzen und letztendlich zu arrangieren.

I² steht für Inkontinenz und Impotenz. Zwei der wesentlichen Auswirkungen einer radikalen Prostataektomie.

Inkontinenz

Ich habe lange gewartet und vor allem gehofft, dass sich die Inkontinenz durch Fleiß und Schweiß mit Beckenbodentraining regeln lässt. Aber diese Hoffnung war vergebens. Also musste ein künstlicher Schließmuskel her. Einmal implantiert dauerte es eine ganze Weile bis ich mich damit arrangieren konnte. Inzwischen aber ist das mit dem Sphinkter eine runde Sache, obwohl sich das Implantat natürlich immer noch komisch anfühlt, da wo es sich befindet.

Impotenz

Bei einer radikalen Prostataektomie kann manchmal nicht nervenschonend operiert werden. Dies führt zur vollständigen Impotenz, also der Unfähigkeit einer Erektion. Zwar gibt es hierfür ebenfalls ein Implantat. Aber sich das neben dem Sphinkter zusätzlich zu implantieren führt mich ohne Umschweife zum Gefühl Robocop zu sein.

Spaß beiseite.

Ich kann mir das beim besten Willen nicht vorstellen. Was letztendlich aber dazu führt, das ich diesen Zustand für den Rest meines Lebens akzeptieren muss und vorallem lernen muss mit der Situation umzugehen. Das gilt natürlich nicht nur für mich, sondern auch für meine Frau, die selbst direkt zu spüren bekommt was das bedeutet. Andere Menschen in meinem Umfeld mögen diesen Umstand ebenfalls spüren, wenn auch nur indirekt, weil mein Verhalten sich sicherlich verändert hat, so bin ich kaum mehr Gesellschaftsfähig. Mich interessieren andere Menschen kaum, vorallem nicht die, die sich während meiner Diagnose, Behandlung und Nachsorge null gekümmert haben. Da kappe ich die Verbindungen, weil es mir einfach nicht mehr wichtig ist bzw ich mich nicht mehr aufreiben will wegen dem Verhalten anderer Menschen. Wobei das sicherlich nicht zwingend mit der Impotenz zu tun hat, sondern mit der Erkrankung und Erfahrung ganz allgemein.
Aber das alles hat letztendlich natürlich unmittelbar Auswirkung auf meine Psyche. Meine Konzentration fokussiert sich daher auf andere Dinge die ich gerne mache, zb Motorradfahren und den wenigen Menschen und Tiere die ich gerne um mich habe, die mir wichtig sind und für dich alles unternehmen werden, auch wenn ich manches mal nicht die Kraft habe.

Am Ende bin noch auf die Langzeitauswirkungen der Impotenz gespannt. Schlussendlich sind es erst vier Jahre und ich hoffe es folgen noch viele. Keine Ahnung ob ich mich weiter in eine noch extremere Gefühlslage und Gedankenwelt bewege...

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Kein leichter Weg

“Dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer“

Aus eigener Erfahrung hat es bei mir Jahre gedauert bis ich einigermaßen verstehen konnte was die Ärzte mit “Es geht nicht um Heilung, es geht nur um das sichern der Lebensqualität“ meinten.

Du benötigst einen kleinen Personenkreis, vertraute, liebgewonnene Personen aus der Familie, Freunde und Ärzte die dir helfen mit den Herausforderungen nach einer radikalen Prostataektomie zurechtzukommen.

Den überwiegenden Teil deines Freundes- und Familienkreis kannst du abhacken. Viele nehmen nicht wirklich an deiner Geschichte teil, sie fragen nur weil sie es müssen, nicht weil sie es wirklich wollen. Sie hören dir nicht zu, geben dir keine Möglichkeit dich mitzuteilen. Es ist schon sehr traurig wenn man sich mit unbekannten Personen, zb. Handwerkern, intensiver und empathischer austauschen kann, als mit alten Seilschaften! Es ist leider so.

Also mit einem engen Personenkreis, die dich moralisch unterstützen, kannst du auch schwere Umstände, wie eine Inkontinenz und Impotenz, meistern. Es dauert aber mitunter Jahre.

Thema Impotenz: Sex ist für die meisten, fast allen, wichtig. Viel wichtiger ist aber das Leben. Leben ohne Sex funktioniert - Sex ohne Leben aber nicht!!! Sofern ein verständnisvoller Partner an der Seite und die Familienplanung abgeschlossen ist, dann ist es leichter damit umzugehen. Wobei es auch dann eine mentale Belastung bleibt. Es ist eben nicht einfach sich der über ein ganzes Leben aufgebauten Ideologie "der Mann, das starke Geschlecht" oder der schwanz gesteuerten Ausrichtung des männlichen Denkens entgegen zu stellen.

Ein Mann kann zwar einen (trockenen) Orgasmus - auch ohne Erektion! - bekommen. Naja, ganz trocken ist dieser dann auch nicht, sofern Inkontinenz eine Rolle spielt. Dann kommt halt Urin mit raus. Orgasmus bleib dabei nicht Orgasmus - ist natürlich nicht zu vergleichen.

Der Verlust der Männlichkeit nagt an meinem Selbstvertrauen. Ich fühle mich in diesem Sinne nicht mehr als Mann. Mann bringt es einfach nicht mehr. Mann fühlt sich schwach, minderwertig. Der Verlust der sexuellen Leistungsfähigkeit, ist auch ein Verlust von Selbstbewusstsein. Dies wiederum hat verschiedene Auswirkungen auf den Beruf, Fähigkeiten Freundschaften zu halten etc.

Es gibt zwar Spritzen oder Implantate (AMS700 - Pumpe für künstliche Schwellkörper) die Abhilfe schaffen könnten. Wobei das Ergebnis natürlich auch nicht mit einer echten Erektion zu vergleichen ist. Hilft dem einen oder anderen sicherlich. Mir jedoch nicht. Wer will sich schon eine Spritze in den Penis setzen oder erst pumpen ("Pump-up-your-Penis") vor einem sexuellen Akt? Dann lieber keinen Sex, als sich schlecht zu fühlen, zu merken du bringst es einfach nicht mehr.

Ist ziemlich egoistisch ich weiß. Umso wichtiger einen Partner zu haben, die das akzeptiert und ebenfalls, so wie man selbst, andere Eigenschaften einer Beziehung in den Mittelpunkt stellt.

Wenn du zudem in einem Umfeld arbeitest (Teil eines japanisches Konzerns), wo das "Mann sein" noch ausgeprägter ist, als bei uns in der deutschen Gesellschaft, so setzt dies einem noch mehr zu, sich nicht mehr gleichwertig fühlen zu können. Ich habe es live miterlebt wie traditionelle japanische Männer in der Gesellschaft die Rolle des starken Mannes prägen, ausleben und raushängen lassen. Viel von dem spielt sich im eigenen Kopf ab, man spürt und sieht Dinge und Verhalten anderer und interpretiert. Klar das dies auch Auswirkungen auf deine Psyche hat.

Wenn dann dein Arbeitgeber auch noch sagt, “wer bei uns arbeitet ist gesund“ und “dich und deine Situation anders zu bewerten, wäre den anderen Kollegen gegenüber unfair“ ist mehr als ein Schlag in die Magengrube. Ein solcher Vergleich ist nicht korrekt, denn jemanden mit einer Schwerbehinderung (80%) mit einem gesunden Kollegen zu vergleichen, ist schon moralisch betrachtet falsch. Aber es gibt leider solche Menschen die das tun - unser Geschäftsführer war leider so einer. Schlimmer Mensch.

Thema Inkontinenz: auf eine öffentliche Toilette zu gehen, um erst durch drücken des Sphinkters im Skrotum urinieren zu können, führt zu Beginn zu unbehagen. Mann fühlt sich ständig beobachtet.

Fazit: die Prostata ist ein Teil des männlichen Geschlechtsorgans. Eine Entfernung hat immer etwas mit der besagten Männlichkeit zu tun und kann somit erheblichen Einfluss auf das restliche Leben haben. Wer sich dem stellt und dies akzeptiert, hat gute Chancen mit dem Leben zurecht zu kommen. Unter der Voraussetzung, das der Tumor erfolgreich behandelt wurde und kein Rezidiv entsteht und man ein Umfeld mit empathischen Menschen hat.